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Die Geschichte vom Ichi-Schreiben

Eltern hatten einen Sohn. Eines Tages begann dieser einen Pinsel in die Hand zu nehmen und zu schreiben. Und er schrieb die Zahl Eins, das Ichi. Im Japanischen bedeutet "Ichi" "Eins" und wird als Strich dargestellt. Das tat er viele Male.

Die Eltern schlugen ihm vor, doch einmal ein anderes Zeichen zu malen, er aber malte nur immer weiter Ichi um Ichi, Strich um Strich, mit Hingabe, jedes Mal war das Ichi neu. Aufgrund seines Alters dachten die Eltern bei sich: Unser Sohn ist noch jung, er hat eben Gefallen an diesem Zeichen gefunden, belassen wir es vorerst dabei.

Der Knabe kam in die Schule. Und als der Lehrer fragte: "Wer von euch kann schon schreiben?" da hob er die Hand und sagte "Ich kann es". Und malte ein Ichi. Und als der Lehrer nach den weiteren Zeichen fragte da malte das Kind abermals ein Ichi. Für den Lehrer war es schwer mitanzusehen, aber er beschloss, dies fürs erste zu gestatten. Und der Knabe malte Ichi um Ichi, jedes mit der gleichen Hingabe, jedes mit voller Aufmerksamkeit, jedes neu, so als hätte er nicht gerade erst ein Ichi geschrieben ...

Im zweiten Jahr ging das so fort. Im dritten wurde der Lehrer ärgerlich. Er sagte: "Wenn du kein anderes Zeichen malen möchtest geh weg von hier, ich kann nicht mehr dein Lehrer sein." Der Junge verliess die Schule und das Dorf.

Jahre später, als Mann, kam er zurück in das Dorf und begegnete seinem früheren Lehrer. Dieser erkannte in ihm den Schüler von einst und fragte ihn "Hast du nun zu schreiben gelernt?". Der Junge nahm einen Pinsel, malte ein Ichi auf die Hauswand des Lehrers -  und das Haus stürzte in sich zusammen.

erzählt von Karl Grunick

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Die Welt in Ordnung bringen

Ein kleiner Junge kam zu seinem Vater und wollte mit ihm spielen. Der aber hatte keine Zeit für den Jungen und auch keine Lust zum Spiel. Also überlegte er, womit er den Knaben beschäftigen könnte.

Er fand in einer Zeitschrift eine komplizierte und detailreiche Abbildung der Erde. Dieses Bild riss er aus und zerschnipselte es dann in viele kleine Teile. Das gab er dem Jungen und dachte, dass dieser nun mit diesem schwierigen Puzzle wohl eine ganze Zeit beschäftigt sei. Der Junge zog sich in eine Ecke zurück und begann mit dem Puzzle. Nach wenigen Minuten kam er zum Vater und zeigte ihm das fertig zusammengesetzte Bild.

Der Vater konnte es kaum glauben und fragte seinen Sohn, wie er das geschafft habe. Das Kind sagte: "Ach, auf der Rückseite war ein Mensch abgebildet. Den habe ich richtig zusammengesetzt.

Und als der Mensch in Ordnung war, war es auch die Welt."

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Acht Kühe für Johnny Lingos Frau

Als ich nach Kiniwata segelte, nahm ich einen Notizblock mit, und als ich zurückkam, war er vollgeschrieben mit Aufzeichnungen über Fauna und Flora, über die Bekleidungen der Eingeborenen und über ihre Sitten und Gebräuche. Aber die einzige Aufzeichnung, die mich noch immer interessiert, ist die, die besagt: "Johnny Lingo gab Saritas Vater acht Kühe". Und ich muss diese Notiz nicht einmal geschrieben vor mir sehen; ich denke immer an sie, wenn ich einen Mann sehe, der von seiner Frau herabgewürdigt wird, oder eine Frau, eingeschüchtert durch die Verachtung ihres Mannes. Dann drängt es mich, ihnen zu sagen: "Ihr solltet wissen, warum Johnny Lingo acht Kühe für seine Frau bezahlte."

Johnny Lingo war nicht sein wirklicher Name. Es war Shenkin, der Besitzer des Hotels auf Kiniwata, der ihn so nannte. Shenkin kam aus Chicago und amerikanisierte aus irgendwelchen Gründen die Namen der Inselbewohner. Johnny jedoch wurde von vielen Leuten immer wieder in allen möglichen Zusammenhängen erwähnt. Wenn ich ein paar Tage auf der Nachbarinsel Nurabandi verbringen wollte, so könnte Johnny mich unterbringen. Wenn ich fischen wollte, so könnte Johnny mir zeigen, wo die besten Stellen im Meer seien. Wenn ich Perlen suchte, so würde er mir sicherlich die besten und preiswertesten beschaffen. Die Leute von Kiniwata sprachen alle mit Hochachtung von Johnny Lingo. Jedoch, sie lächelten, wenn sie über ihn sprachen und dieses Lächeln war immer ein wenig spöttisch.

"Du musst nur Johhny Lingo fragen, wenn du etwas brauchst, und laß ihn für dich den Handel machen," riet mir Shenkin, "Johnny weiß zu verhandeln".

"Johnny Lingo!" Ein Junge, der daneben saß, rief den Namen aus und schüttelte sich dabei vor Lachen. "Was geht da vor sich?" fragte ich. "Ihr alle ratet mir, mich unbedingt an Johnny Lingo zu wenden, und dann fangt ihr an zu lachen. Kann mich jemand in diesen Spaß einweihen?"
"Oh, die Leute lachen eben gern," sagte Shenkin schulterzuckend. "Johnny ist der gescheiteste und der stärkste junge Mann auf diesen Inseln, und der reichste in seinem Alter."
"Aber, wenn er all das ist, was gibt es denn da zu lachen?"
"Nur eines. Es war vor fünf Monaten, an unserem Herbstfest, als Johnny Lingo nach Kiniwata kam, um sich eine Frau zu nehmen. Er bezahlte ihrem Vater acht Kühe."

Ich wusste genug über die Gebräuche auf den Inseln, um beeindruckt zu sein. Für zwei oder drei Kühe bekam man eine ziemlich gute Frau und für vier oder fünf eine sehr beachtliche.
"Mein Gott!", sagte ich. "Acht Kühe! Sie muss eine atemberaubende Schönheit sein."
"Sie ist nicht hässlich," räumte er ein und lächelte ein wenig, "Aber selbst der wohlwollendste könnte Sarita allenfalls als durchschnittlich bezeichnen. Sam Karoo, ihr Vater, musste schon befürchten, daß sie immer bei ihm bleiben würde."
"Acht Kühe für sie, ist das nicht ziemlich außergewöhnlich?"
"Das ist noch nie von irgendjemandem bezahlt worden."
"Und du sagst, Johnnys Frau ist nicht mehr als durchschnittlich?"

"Ich sagte, es wäre wohlwollend, sie durchschnittlich zu nennen. Sie war dünn. Sie ging mit hängenden Schultern und hängendem Kopf. Sie fürchtete sich vor ihrem eigenem Schatten." "Nun," sagte ich, "die Liebe hat wohl keinen festen Preis."
"Richtig," sagte der Mann zustimmend. "Und genau deshalb grinsen die Leute aus dem Dorf, wenn sie über Johnny Lingo reden. Es gibt ihnen so etwas wie eine ganz bestimmte Befriedigung, zu denken, daß der gescheiteste Händler der Inseln von dem alten einfältigen Sam Karoo übertölpelt wurde."
"Aber wie konnte das geschehen?"
"Niemand weiß es, und alle fragen sich. All seine Vettern rieten Sam, zuerst drei Kühe zu verlangen, dann eine Weile bei zweien zu verharren und sich schließlich mit einer Kuh zufrieden zu geben. Dann kam Johnny zu Sam Karoo und sagte: ,Vater der Sarita, ich biete dir acht Kühe für deine Tochter."

"Acht Kühe," murmelte ich. "Diesen Johnny Lingo möchte ich kennenlernen."

Ich brauchte Fisch und ich wollte Perlen kaufen, also landete ich am nächsten Nachmittag mit meinem Boot auf Nurabandi. Und als ich nach dem Weg zu Johnnys Haus fragte, bemerkte ich, daß sein Name kein heimliches Lächeln auf die Lippen der Einwohner von Nurabandi brachte. Und als ich dann den schlanken, ernsten jungen Mann sah. als er mich mit großer Höflichkeit begrüßte und in seinem Haus willkommen hieß, war ich erleichtert, daß seine eigenen Leute ihm mit ungeteiltem Respekt begegneten. Wir saßen in seinem Haus und sprachen. Dann fragte er. "Sie kommen von Kiniwata?"
"Ja."
"Spricht man über mich auf jener Insel?"
"Man sagt, daß es nichts gibt, was Sie nicht besorgen könnten."
Er lächelte sanft. "Meine Frau kommt von Kiniwata." "Ja, ich weiß."
"Spricht man über sie?"
"Ein wenig."
"Was sagt man?"
"Nun, nur ..." Die Frage brachte mich etwas aus dem Gleichgewicht. "man hat mir gesagt, daß Sie am letzten Herbstfest geheiratet haben."
"Sonst nichts?" Sein Gesicht zeigte mir, daß er wusste, daß da noch mehr sein musste.
"Man sagt, daß der Brautpreis acht Kühe betragen hat." Ich hielt inne. "Und man fragt sich, warum."

"Das fragt man sich?" Seine Augen leuchteten vor Freude. "Alle in Kiniwata wissen von den acht Kühen?"

Ich nickte.

"Und alle in Nurabandi wissen es auch." Seine Brust weitete sich vor Genugtuung. "Für alle Zeiten, wenn man über Brautpreise spricht, wird man sich erinnern, daß Johnny Lingo acht Kühe für Sarita bezahlt hat."

Das ist also die Antwort, dachte ich: schlichte Eitelkeit.

Und dann sah ich sie. Ich sah, wie sie ins Zimmer trat und Blumen auf den Tisch stellte. Sie blieb einen Moment lang stehen und lächelte dem jungen Mann neben mir zu. Dann ging sie schnell wieder hinaus. Sie war die schönste Frau, die ich je gesehen hatte. Die Bewegungen ihrer Schultern, die Haltung ihres Kopfes, das Leuchten in ihren Augen, alles verriet Stolz, den man ihr nicht versagen konnte.

Ich wandte mich wieder zu Johnny Lingo und bemerkte, daß er mich beobachtet hatte.
"Sie bewundern sie?" murmelte er.
"Sie ... sie ist wunderbar. Aber sie ist nicht Sarita aus Kiniwata," sagte ich.
"Es gibt nur eine Sarita. Vielleicht sieht sie nicht mehr aus wie in Kiniwata."
"Nein. Ich hörte, sie sei unscheinbar. Alle machen sich darüber lustig, daß Sie sich von Sam Karoo übervorteilen ließen."
"Denken Sie, acht Kühe waren zu viel?" Ein Lächeln war auf seinen Lippen.
"Nein, aber wie ist es möglich, daß sie so verändert ist?"

"Haben Sie je darüber nachgedacht," fragte er, "was es für eine Frau bedeutet, zu wissen, daß ihr Mann den tiefsten Preis für sie ausgehandelt hat? Und dann später, wenn die Frauen gegenseitig darüber reden und prahlen, wieviel ihr Mann bezahlt hat. Die eine sagt vier Kühe, die andere vielleicht sechs. Wie fühlt sich dann die Frau, die für eine oder zwei gekauft wurde? Dies kann meiner Sarita nicht passieren."

"Dann haben Sie es getan, um Ihre Frau glücklich zu machen?"

"Ich wollte, daß Sarita glücklich ist. Aber ich wollte mehr. Sie sagten, sie sei verändert. Das ist richtig. Vieles kann sich in einer Frau ändern. Dinge, die in ihrem inneren vor sich gehen und solche, die äußerlich geschehen. Aber was wirklich zählt, ist, was sie über sich selbst denkt. In Kiniwata hat Sarita gedacht, sie habe überhaupt keinen Wert. Hier weiß sie, daß sie mehr wert ist als jede andere."

erzählt von Richard Clarks

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Die 7 Affen

7 Affen lebten in einem abgegrenzten Gebiet unter Beobachtung von WissenschaftlerInnen. Die WissenschaftlerInnen starteten ein Experiment: auf ein Holzgerüst wurden oben Bananen plaziert. Jedesmal, wenn einer der Affen versuchte, das Gerüst zu erklimmen, lösten die WissenschaftlerInnen einen kalten Regenguss im gesamten Gebiet aus - was von den Affen nicht besonders goutiert wurde. Nach einiger Zeit versuchte keiner der Affen mehr, auf das Gerüst zu steigen, und wenn einer versehentlich zu nahe kam, zogen ihn die anderen von dort fort. Niemand wollte schliesslich nass und kalt werden.

Dann, eines Tages, tauschten die WissenschaftlerInnen einen der Affen gegen einen neuen aus. Der Neue wusste natürlich nichts von dem Gerüst-Regenguss-Zusammenhang und näherte sich fröhlich dem Gerüst. Als die anderen Affen das sahen, zogen sie ihn mit vereinten Kräften und gewaltsam davon weg, und verfuhren so jedesmal, wenn er einen neuen Versuch in Richtung Gerüst unternahm.
Der neue Affe erfuht nie, warum er sich dem Gerüst nicht nähern durfte, weil die anderen gar nicht zuließen, dass er soweit kam, auszuprobieren, was geschähe wenn er hochkletterte. Tatsächlich wäre gar nichts geschehen, die WissenschaftlerInnen hatten die Spenkleranlage nämlich abgebaut.

Nach einer Weile wurde ein zweiter Affe aus der alten Riege gegen einen neuen ausgetauscht. Jedesmal, wenn der nun versuchte, sich dem Gerüst zu nähern (Bananen befanden sich ja immer noch oben) wurde er von den anderen Affen davon abgehalten. Besonders brutal beim Wegzerren war - welcher Affe? Erraten, derjenige, der selbst nie erlebt hatte, dass man nass wurde, wenn man hochkletterte. Er kannte nur die Regel, nicht mehr den Grund.

Auch der zweite Affe lernte: das Gerüst war verboten. Nach und nach wurden auf diese Weise alle Affen ausgetauscht, so dass am Ende kein Affe mehr den Grund für die Regel kannte, die das Erklettern des Gerüstes verbot.

Aber: bei uns klettert niemand auf dieses Gerüst. Sowas tun wir nicht. Wenn doch mal jemand, heimlich, des Nachts, es tut und sich Bananen holt, hat er doch ein schlechtes Gewissen und fühlt Unbehagen, trotzdem ja offenkundig nichts Schlechtes, ja im Gegenteil, sogar etwas Angenehmes die Folge ist.

erzählt von Robert Dilts

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The road not taken

Two roads diverged in a yellow wood,
And sorry I could not travel both
And be one traveller, long I stood
And looked down one as far as I could
To where it bent in the undergrowth;

Then took the other, as just as fair,
And having perhaps the better claim,
Because it was grassy and wanted wear;
Though as for that the passing there
Had worn them really about the same,

And both that morning equally lay
In leaves no step had trodden black.
Oh, I kept the first for another day!
Yet knowing how way leads on to way,
I doubted if I should ever come back.

I shall be telling this with a sigh
Somewhere ages and ages hence:
Two roads diverged in a wood, and I -
I took the one less travelled by,
And that has made all the difference.

Robert Frost

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